In Phnom Penh eröffnet das Musikzentrum „The Gong“ (2024)

Das Pol-Pot-Regime hat während seiner Schreckensherrschaft in Kambodscha ganze Arbeit geleistet. Die Roten Khmer bekämpften Intelligenz und Bildung, zerstörten künstlerische und kulturelle Traditionen dermaßen nachhaltig, dass sich das südostasiatische Land noch immer nicht völlig davon erholt hat. Wie aber soll ein Land ohne Kultur seine Identität finden?

Diese Frage hat sich auch der Fotograf Hannes Schmid gestellt, als er Kambodscha vor Jahren erstmals bereiste. Der durch seine Cowboy-Motive für eine Zigarettenreklame weltweit bekannt gewordene Schweizer ist vielleicht nicht der typische Globetrotter, der dem gesamten Planeten seinen westlich geprägten Blick aufdrücken will. Viel gereist ist er allerdings doch, hat jahrelang Konzerttourneen von 257 Bands begleitet und fotografiert, war Künstlern wie John Lennon, Freddy Mercury und der Gruppe Abba verbunden, aber auch Bob Geldof, dessen Engagement für soziale Projekte ihn faszinierte.

Eine Auszeit in Kambodscha bezeichnet Schmid als Initialzündung für seinen heutigen Einsatz in diesem Land. „Ich habe gesehen, wie Kinder, statt in die Schule zu gehen, auf riesigen Müllhalden nach Dingen wühlen, die sie in ihren Slums gebrauchen oder verwerten.“ Ein Jahr lang hat er dann selbst in solch einem Slum verbracht, um sich ein besseres Bild zu machen; als Aussteiger sieht er sich aber nicht. „Ich bin Künstler und weiß, wie zentral Bildung ist. Ich bin Kindern begegnet, die von Angkor Wat nichts wussten. Mädchen, die für eine Hochzeit verkauft wurden. Das hat doch mit Kultur nichts zu tun!“

Hannes Schmid suchte und fand Unterstützung in Deutschland und der Schweiz, um eine Schule aufzubauen, gründete die Hilfsorganisation Smiling Gecko und etablierte auf einem inzwischen rund 150 Hektar großen Areal ein Modellprojekt, das nun in eine neue Stufe geht. Es sei zwar verrückt, meint der Siebenundsiebzigjährige, ein Kulturhaus zu errichten, wenn die Menschen rundherum nicht genug zu essen hätten. „Doch eines Tages wird hier niemand mehr hungern müssen – und was nützt es, wenn es dann keine Kultur gibt?“

In der Vergangenheit wurde vor allem in Landwirtschaft investiert, mussten Schmid und von ihm inspirierte Partner wie etwa die Uni Zürich viel Lehrgeld zahlen. „Zur Bildung gehört auch Berufsbildung, um Perspektiven zu haben. Wir haben kleine Firmen gegründet, die sich inzwischen selbst tragen, traditionelle Tierhaltung, Fischzucht und Bepflanzung gefördert – alles mit dem Ziel, dass Kambodschaner Kambodschanern helfen.“ Vorausgegangen sei eine Erhebung, was dieses Land wirklich benötigt. Als einziger Ausländer bei Smiling Gecko sieht sich der Entrepreneur selbst als Lernender und regt an, dass ältere Menschen von früher berichten, um Erinnerungen für kommende Generationen zu bewahren. Empören kann er sich darüber, dass von den Milliardensummen der UNO und anderer Hilfsorganisationen so viel im bürokratischen Dschungel versickere. Dem Land müsse nichts aufgestülpt werden, für den Bau von Wohnhäusern im Gecko-Resort etwa habe man von den historischen Belüftungssystemen in der Tempelstätte Angkor Wat lernen und auf heimische Materialien zurückgreifen können. „Bambus ersetzt Stahl, Biomasse aus Pilzen ersetzt Beton, Studenten der ETH Zürich haben sich am Schulbau beteiligt“, schwärmt Schmid. Rund 500 Kinder wurden inzwischen eingeschult und lernen neben Khmer auch Englisch, erhalten kulturellen Unterricht, den es ansonsten nicht gibt. Die meisten Lehrer im Land hätten selbst nur fünf bis sechs Jahre eine Grundschule besucht, bei Smiling Gecko spielt jedes Kind ein Instrument.

In Phnom Penh eröffnet das Musikzentrum „The Gong“ (2)

Schmid vergisst zwar nicht, auch auf touristische Projekte hinzuweisen – „Wir haben das beste Restaurant von ganz Kambodscha!“ – und somit für Gäste im rund eine Stunde von der Hauptstadt Phnom Penh gelegenen Farmhouse-Resort zu werben, brennt aber vor allem für Bildung und Kultur. „Der König von Kambodscha ist sehr musisch, hat in Prag studiert und in Paris unterrichtet, wir fühlen uns mit unseren Ideen hier sehr willkommen.“ Deren jüngste vereint hohen Symbolwert mit praktischem Nutzen und trägt den vielsagenden Namen „The Gong“.

Eine außergewöhnliche Architektur, materialbewusst erstellt, soll die kulturelle Verbindung von diesem uralten Instrument zu einem gewaltigen Klangraum mit Zukunftspotential vermitteln. Wie die Schallwellen von innen nach außen für Ausstrahlung sorgen, soll im Dachbereich Regenwasser gesammelt werden, um es der Erde zurückzugeben. „Wir möchten die Elemente verbinden“, erklärt Hannes Schmid, „und vielfältige Verbindungen herstellen.“ Tradition und Moderne, Fusion und Balance, Musik und Malerei nennt er als Stichworte und meint, dass neben koreanisch und indonesisch beeinflusster Musik auch westliche Klassik integriert werden solle. „Daraus ergibt sich doch alles andere, das sind Wellen, die hinausgehen und als Inspiration auch wieder zurückkommen.“ Die Eröffnung des Gong soll in diesen Sommer ein übergreifendes Fest werden.

Isabel Karajan ist dabei

Hannes Schmid betrachtet seinen Einsatz in Kambodscha „als riesiges Hilfswerk, quasi die Fortführung meiner Kunst als soziale Kunst“. Bei aller Energie weiß er jedoch, dass all seine Projekte ohne vielfältige Hilfe nie zu stemmen gewesen wären. Für The Gong hat er, der sein Tun gern als kulturelle Philanthropie bezeichnet, ein imposantes Programm zusammenstellen lassen. Neben klassischem Khmer-Tanz und traditioneller Musik auf Khmer-Harfen gibt es einen Soloauftritt des jungen Dontrey-Interpreten Heang Chhun Heng, ein klassisches Konzert des Angkor-Jugendorchesters sowie Auftritte der Schülerinnen und Schüler von Smiling Gecko. Der Schweizer Soul-Sänger Jan „Seven“ Dettwyler wird ebenso wie die Pianistin Luisa Imorde für dortzulande unbekannte Stilistik sorgen. Ebenso die Schauspielerin Isabel Karajan, die ein gemeinsam mit Musikern der Berliner Barock Solisten erarbeitetes Multimedia-Spektakel zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ präsentiert. Ein Coup für Schmid: „Isabel Karajan hat mehr Energie als ich – und ein riesengroßes Herz, sie hat Durchhaltevermögen und die Kraft, etwas auch wirklich durchzuziehen und umzusetzen.“

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Für die Schauspielerin ist die Gong-Eröffnung Auftakt diverser künstlerischer Ideen, um Kinder über die Kontinente hinweg mit Musik zu verbinden. „Kunst und Kultur sind keine Konsummittel, um sich berieseln zu lassen, sondern wecken eigene Kreativität, die in jedem Kind steckt und einen großen Schatz darstellt.“ Musik brauche keine Worte, habe keine Grenzen, sei das direkteste Kommunikationsmittel, das es gibt. Sie mache Mut und Lust, neugierig eigene Wege zu finden.

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