Syrerin im Brennpunktviertel Dresden-Prohlis: »Durch Musik habe ich alles geschafft« (2024)

Yara Abou Fakher, Musikerin:
»Durch Musik habe ich alles sozusagen geschafft.«

Sie floh vor dem Bürgerkrieg in Syrien – und landete in einem Dresdener Brennpunktviertel. Ausgerechnet in Prohlis, einem Stadtteil geprägt von Perspektivlosigkeit, fand die Geigerin Yara Abou-Fakher ihre neue Bestimmung.

Yara Abou Fakher, Musikerin:
»Welche Tonleiter seht ihr auf der Tafel? Welche Tonleiter ist heute dran bei euch? Du darfst… D-Dur-Tonleiter. Achtung leise, stopp!«

Mit dem sozialen Projekt »Musaik« bietet Abou-Fakher benachteiligten Kindern und Jugendlichen dreimal pro Woche kostenlosen Musikunterricht. Dazu Instrumente und Noten, Ausflüge und Konzerte. Es ist das einzige musikalische Angebot in Prohlis, eine Musikschule existiert hier nicht.

Yara Abou Fakher, Musikerin:
»Und dadurch fühlen sie sich natürlich so… die gehören dazu. Das hat dann dieses Gefühl: es ist eine zweite Familie hier und nicht nur irgendeine Musikschule, wo ich hingehe. Ich habe diese 30 Minuten pro Woche und Punkt.«

Mit Hilfe farbiger Notenblätter sollen die Jungs und Mädchen ihr Instrument leichter lernen. Regelmäßig versammelt Yara Abou-Fakher auch die Eltern an einem Tisch. Denn die Musiklehrerin will nicht nur die Kinder zu mehr Teilhabe bewegen – sondern auch die Erwachsenen. Keine leichte Aufgabe, oft bekam Abou-Fakher Gegenwind aus zwei Richtungen: Deutsche wollten keine dunkelhaarige Syrerin, arabische Eltern keine Frau ohne Kopftuch.

Yara Abou Fakher, Musikerin:
»Deswegen war ich öfter bei denen zu Hause und habe versucht, auf allen Ebenen bei deutschen und arabischen Familien klarzukommen. Später war das Ziel, die beiden Eltern miteinander zusammenzubringen, damit sie miteinander klarkommen.«

Funktioniert der gemeinschaftliche Zusammenhalt über die Musik? In Dresden-Prohlis leben viele verschiedene Nationen auf engem Raum. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, es fehlt an Treffpunkten oder kulturellen Angeboten, vor allem für Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen leiden unter sozialer Ausgrenzung und Armut.

Yara Abou-Fakher befürchtet, dass die anstehenden Landtagswahlen im Herbst schlimme Folgen in Sachsen haben könnten: Bei der Stadtratswahl im Juni 2024 lag die AfD in Prohlis mit 33 Prozent vorn. Rassistische Gewalt hat die Geigerin bereits selbst erlebt. Doch statt sich durch den Angreifer einschüchtern zu lassen, hat sie daraus sogar Kraft geschöpft.

Yara Abou Fakher, Musikerin:
»Er hat dann versucht, mich vom Fahrrad auf den Boden zu stoßen. Da war ich dann auf dem Boden und habe ihm gesagt: Hey, das geht doch jetzt gar nicht, ist doch Gewalt. Müssen wir jetzt die Polizei rufen? Und er meinte: Hier kann mir niemand helfen. Und da habe ich ihm gesagt: Ich möchte aber doch gern den Kindern von ihm und von ihrem Nachbar hier helfen. Deswegen bin ich ja hier in diesem Viertel. In der Hoffnung, dass die Kinder in Zukunft nicht wie Sie reagieren, wenn die einfach andere Mensch sehen. Und da bin ich richtig zufrieden weitergelaufen nach Hause.«

Mittlerweile fühlt sich Abou-Fakher zu Hause in Dresden – das war nicht immer so. 2015 musste sie aus Syrien fliehen. Ihren wichtigsten Besitz, ihre Geige, konnte sie bei ihrer gefährlichen Überquerung des Mittelmeers nicht mitnehmen.

Yara Abou Fakher, Musikerin:
»Plötzlich bin ich an einem neuen Ort, muss von Null anfangen. Ich kenne keinen Menschen. Die Sprache ist für mich… ich verstehe sogar Bahnhof damals gar nicht und plötzlich auch ohne dieses Instrument. Das war einfach sehr schwer.«

Die Geige – das ist für Abou-Fakher ein Stück Heimat und Familie. Erst nach knapp zwei Jahren brachte ein Freund ihr das Instrument aus Syrien nach Dresden. So lang hatte sie nicht mehr darauf gespielt, konnte sie es noch?

Yara Abou Fakher, Musikerin:
»Als die Geige bei mir zu Hause in Dresden war, habe ich total Panik gekriegt, die auszupacken. Ich habe nur geheult und dann fing ich wieder an, Musik zu machen.«

»Und alle, alle bitte! Dann kommt dieses Fortissimo, da brauche ich euer Vibrato und volle Haare auf dem Bogen, dass es wirklich laut klingt, auf einmal. Das schaffen wir.«

Den großen Wert einer engen Beziehung zum eigenen Instrument möchte Yara ihren Schützlingen weitergeben.

Lysann, Schülerin:
»Das Instrument ist einfach ein Teil meines Lebens geworden. Das Cello kommt ja der menschlichen Stimme am nächsten. Und das finde ich sehr schön. Es klingt sehr harmonisch mit den ganzen anderen.«

Bald steht die Aufführung eines Musicals in Prohlis an. Über die Konzerte versuchen Abou-Fakher und ihre Mitstreiterinnen, das Zusammengehörigkeitsgefühl in Prohlis zu stärken.

Sameha, Schülerin:
»Besonders ist auch die Beziehung zwischen uns und den Lehrenden. Es ist nicht wie in der Schule. Die Lehrer sind dort meistens streng, und es wird außerhalb des Unterrichts nicht mit den Lehrern geredet. Bei »Musaik« ist es andersherum. Man fühlt sich mit den Lehrern verbunden.«

Lysann, Schülerin:
»Davor war ich immer so allein. Deswegen kann ich das jetzt nachvollziehen. Und ich finde es auch sehr schön, dass ich jetzt endlich offener bin. Ich war sehr zurückhaltend am Anfang und jetzt habe ich das Gefühl, ich gehöre auch zur Gruppe.«

Durch Musik Anschluss finden,– was Yara Abou-Fakher selbst geholfen hat, das will sie in Prohlis auch in Zukunft anderen vermitteln.

Yara Abou Fakher, Musikerin:
»Was ich versuche mit ihnen zu machen, ist, ihnen nicht nur Musik zu bringen. Sondern auch zu verstehen: Es könnte alles im Leben passieren. Hauptsache, dass man noch stark bleibt und weiterkämpft und klarkommt. Ihr müsst weiterkämpfen. Ich habe es geschafft, ihr könnt es auch schaffen.«

Syrerin im Brennpunktviertel Dresden-Prohlis: »Durch Musik habe ich alles geschafft« (2024)
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